Generation Y: Eine Standpauke…nicht für alle, aber einige

Sie sind megahip und tolerant! Sind sind schön! Sie sind alle kleine Stars! Sie sind so total frei und so! Sie sind aufgeklärt und kümmern sich um wichtige gesellschaftliche Themen! Sie sind für jede Schandtat bereit! Sie leben nur einmal! YOLO!
Sie überschätzen sich maßlos.

In etwa so kann man zusammenfassen, was man in tausenden Artikeln und Blogs über die späten 80er und 90er Geburtenjahrgänge lesen kann. Der letzte Satz da oben ist übrigens von mir. Gehen wir alles mal Schritt für Schritt durch.

Sie sind megahip und tolerant!

Den Menschen um die Mitte Zwanzig wird oft ein feines Gespür für Mode nachgesagt. Das ist allerdings auch relativ leicht, denn oberflächlich ist eigentlich alles erlaubt. Hauptsache, man selbst fühlt sich wohl. Unter der Oberfläche arbeiten allerdings Mechanismen, die Selbstbestimmung in Modefragen unmöglich machen. Die Toleranz der freien Modewahl hört nämlich spätestens dann auf, wenn ich beschließe, morgen in Minirock, Netzhemdchen und Clownsschuhen in die Uni zu gehen. Besonders dort – das mag aber auch am Standort Düsseldorf liegen – erntet man für abweichende Optik zerknitterte Gesichtsausdrücke.
„Ähm, wow, sorry! Aber dieser Fashionstyle ist in der combination ein absolutes No Go! Ein Don’t! No offense, aber das geht gaaar nicht, Schätzchen!“

Sie sind schön!

Wenn man es ihnen nur oft genug sagt, schwenkt Selbstbewusstsein in Arroganz, Eitelkeit und Selbstverliebtheit um.

Sie sind alle kleine Stars!

Und da ist es schon passiert. Es gibt einige Ereignisse aus der Unizeit, die ich nie wieder vergessen werde, weil ich mich da gefragt habe, ob nicht irgendetwas in der Erziehung und im Selbstbild dieser Generation falsch gelaufen ist bzw. nicht stimmt.

Beispiel:

Das Seminar hat vor zehn Minuten begonnen, der Professor steht vorne und fragt etwas. Die Tür springt auf und eine Studentin kommt reingeschlurft, bleibt stehen, schaut sich um und latscht quer durch den Raum, während sie laut knisternd ihre Brottüte im Rucksack verstaut. Der Dozent stellt ihr eine Frage, während er die Tür wieder schließt. Die Antwort: „Ey chill mal! Ich bin doch gerade erst reingekommen!“
Wäre es mein Seminar gewesen, ich hätte die Dame freundlich gebeten zu gehen. Was sie aber nicht akzeptiert hätte, denn

Sie sind total frei und so!

Bitte nicht so viele Regeln. Bitte nicht immer verlangen, dass Absprachen eingehalten werden. Das engt ungemein ein. Jeder darf tun, was er will. Das beginnt aktuell schon in der Grundschule, wo die Kinder alles erstmal irgendwie schreiben sollen, damit das schreiben ihnen mehr Spaß macht (der richtige Spaß beginnt dann, wenn die Kinder im gefestigten Stadium ihrer freien Schreibe die richtigen Regeln kennenlernen). Das setzt sich fort, wenn Jugendliche im Zoo gegen die Fensterscheiben eines Geheges hämmern, man sie ermahnt und die Eltern daraufhin meinen Namen wissen wollen, um sich über mich zu beschweren. Und schließlich mündet das in Kommentaren bei Facebook über einen Professoren. O-Ton: „Dem würde ich voll gern mal Vollspann in die Fresse treten! xD“. Es ging darum, dass man für ein Seminar wöchentlich umfangreiche Texte lesen muss. Auf die Antwort einer Studentin, dass die Dozenten teilweise auch bei Facebook sind und solche Kommentare lesen können, kam nur „Ja und? Ist doch wahr!“.
Najaaaaa, sie sind ja noch so jung, nicht wahr?

Sie sind aufgeklärt und kümmern sich um wichtige gesellschaftliche Themen!

Das ist eine tolle Sache und dagegen gibt es nichts einzuwenden…wenn es denn der Realität entspräche. Es stimmt, dass vor allem auch durch die fortschreitende Vernetzung, Informationen immer und überall verfügbar sind. Und weil manch einer schon mit der modernen Entsprechung des Feuerzeugs auf Konzerten verwachsen ist, wissen diejenigen auch viel.
Das Problem ist, dass viele Informationen in kleinen, verträglichen Häppchen präsentiert werden, die dann unhinterfragt eingenommen werden. Der Filterungsgrad von Wissen im Netz ist enorm, aber umfangreiches Material will sich niemand reinziehen. Ebenso wenig möchten die meisten tatsächlich aktiv werden, wenn es um etwas geht. Ich war hellauf begeistert, als ich gesehen habe, wie viele Menschen tatsächlich gegen Pegida und Konsorten auf die Straße gegangen sind. Ich war stolz, dass wir – wie es Michael Mittermeier 2006 bezüglich der Autofahnen zur WM formuliert hat – „den Rechten die Fahne weggenommen haben“. Aber genauso scheinheilig finde ich es, wenn sich jemand an seinen Laptop setzt und der Meinung ist, durch das Teilen oder Liken eines Beitrags oder der Teilnahme einer Onlinepetition sei irgendjemandem geholfen. Und so schön es ist, dass die Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen wurde, so traurig ist es, dass der Hashtag „#refugeeswelcome“ mittlerweile zur Darstellung der eigenen Gutmütigkeit verkommen ist.
Etwas mehr Reflektiertheit in dem, was er glaubt und macht, täte manchem gut.

Sie sind für jede Schandtat bereit!

Jaja, aber wehe es sind Spinnen in der Nähe. Der Vorwärtsdrang geht nur so weit, wie es der eigene Anspruch zulässt. Wenn es unangehm wird, zieht man sich lieber zurück. „Los! Wir verändern die Welt! Nichts kann uns aufhalten! Wir werden alles schaffen und es allen zeigen! Muss ich dafür aufstehen?“

Sie leben nur einmal! YOLO!

#yolo ist mittlerweile zum Hashtag für all das geworden, was man irgendwie rechtfertigen will, um es nicht erklären zu müssen oder sogar sich die Schuld einzugestehen.
Ich habe verschlafen: #yolo. Ich wurde in der Schule rausgeschmissen: #yolo. Ich wurde geblitzt: #yolo. Ich bin heute morgen in der Ausnüchterungszelle aufgewacht: #yolo. Ich mache das, was mir gefällt. Scheiß auf alle anderen: #yolo. Die Polizei stand gerade vor meiner Tür: #yolo. Meine Doktorarbeit ist ein Plagiat: #yolo.

Sie überschätzen sich maßlos.

„Ich will, ich will, ich will!“ – „Wir wollen auch etwas“, entgegnet der Arbeitgeber und erntet lange Gesichter. Wer die aktuellen Nachrichten aus der Werbebranche (und nicht nur von dort) verfolgt, wird bemerkt haben, dass sich viele Neueinsteiger vor allem eines wünschen: Selbstverwirklichung bei gleichzeitiger Zwanglosigkeit und guter Bezahlung. Wer gut ist und auch entsprechende Leistung liefert, der kann das natürlich ohne schlechtes Gewissen verlangen. Aber die Werbebranche beklagt sich über fehlenden Nachwuchs, fehlende Qualität und fehlende Persönlichkeit. Wie passt das zusammen? Es kommt mir so vor, als wäre vielen der eigene Wert in der Arbeitswelt nicht bewusst. Es ist eine Floskel aus dem Fußball, die oft bemüht wird, wenn es nicht läuft. Aber das sollte ein Leitsatz jedes Menschen sein: „Jeder muss sich hinterfragen.“
Selbstreflexion ist meiner Meinung nach ein wesentlicher Bestandteil einer Gesellschaft. Wer nicht in der Lage ist, das eigene Handeln beizeiten aus der objektiven Perspektive zu betrachten, wird kaum Ansprüche formulieren können, die zur Außenwirkung passen. Und aktuell kommt es mir so vor, als schreie ein großer Teil einer Generation:

„Platz da, jetzt kommen wir! Auf uns habt ihr gewartet! Wir können alles! Ihr müsst uns nur genug Gehalt zahlen und bitte nicht zu viel von uns verlangen! Wir sind nämlich megahip und tolerant und schön und kleine Stars und total frei und so und aufgeklärt und kümmern uns um gesellschaftliche Themen und sind für alles bereit!“

Es bereitet mir Kopfschmerzen, dass ich alterstechnisch in dieser Generation mit der beschriebenen Wirkung nach außen angesiedelt bin.

10 Kommentare

  1. Artikel gefällt mir 🙂 und bestätigt im Großen und Ganzen meine Einschätzung über Generation Y…die Analyse einiger sagte dazu: Sie sind in geerdeten Verhältnissen von Eltern großgezogen worden. Von Eltern, die für ihre Kinder nur das Beste wollten…die ihren Kindern Schwierigkeiten schon früh aus dem Weg räumten…siehe Beispiel, mit welchem Enthusiasmus Eltern ihre Kleinen alle unbequemen Wege abnahmen, z. B. den Schulwege per pedes….als ü50 finde ich mich persönlich in meiner Einstellung relativ junggeblieben…wir waren auch mal 17…mit anderen besorgniserregenden Signalen *g* Fortschritt ist toll, ich habe ihn in einer grandiosen Geschwindigkeit erlebt, heute wird verfeinert…ich habe schätzen gelernt, dass digitales Leben vieles vereinfacht und die Kommunikation auf der Überholspur ist…dennoch muss ich nicht alles mitmachen. Banking mit smartphone…ist für mich inakzeptabel…der CCC warnt nicht ohne Grund….alle reden von work-life-balance…aber wer gutes Geld verdienen möchte, muss auch Leistung bringen. Das vor schon vor 30 Jahren so und wird sich auch in Zukunft nicht verändern. Ich sehe lediglich, dass es immer weniger werden, die tatsächlich „gutes Geld“ gegen „gute Arbeit“ eintauschen werden können…Aber das ist eine andere Baustelle….Wenn Du magst, einer meiner persönlichen Blogs beschreibt Trends / Generationen / Digitales…nicht aus der technischen Sicht, sondern aus meiner persönlichen Sicht..

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    • Eine meinem Empfinden nach immer größer werdende Baustelle, wenn man sich die Entwicklung von Leistung und Bezahlung von bspw. Werbeagenturen anschaut.
      Was meinen Artikel angeht, so kommt der natürlich etwas polemisch daher und es sind ja längst nicht alle meiner Generation, die sich so verhalten. Nur tritt das Negative immer etwas lauter und stärker hervor als das „Normale“ (Was ist schon normal?).
      Deinem Blog hier bei WordPress folge ich selbstverständlich seit gerade eben. 🙂

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  2. Ich habe gerade ein bisschen gestöbert, weil ich eben selber auf meinem Blog einen Artikel über die ach so tolle Generation Y verfasst habe. What can I say? Du sprichst mir aus der Seele. Du ziehst in deiner Darstellung allerdings weitere Kreise als ich; ich hab mich auf zwei bis drei der vielen ätzenden Eigenschaften beschränkt 😛

    Sehr gut geschrieben – geht runter wie Öl! 🙂

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  3. Ich stimme dir nicht zu. Nicht für alle, aber einige? Wieso wirfst du dann alle in einen Topf?
    Zu der Generation Y, die du da ansprichst, gehöre ich nicht.

    Die Sache ist doch die: Die folgenden Generationen werden immer anders sein wie die vorherigen. Die alten Werte, die unsere Großeltern und Eltern pflegten, sind für uns nicht mehr von Bedeutung. Wissenschaft, Technik, Gesellschaft, das alles verändert uns! Wir passen uns an die Umstände eben an. Wir tragen dazu bei.
    Aber selbst bei dem heutigen Ideal gibt es immer die, die aus der Reihe tanzen. YOLO? Ich bitte dich. Wenn du dich wirklich in der Generation Y bewegen würdest, wüsstest du, dass das nur ein ganz kleiner Bruchteil so sieht. Saufen, das Gesetz brechen. Wie schön, dass du nur die negativ auffallenden Beispiele siehst.
    Auf unserer Generation lastet so viel Druck. Wir machen uns selbst Druck, weil wir dazugehören wollen. Das nächste Mal solltest du die Werbeindustrie, die Modeindustrie und unsere Eltern kritisieren, die durch uns ihre nie verwirklichten Träume leben wollen. Und die Medien sagen doch auch, dass es so viele „geschafft“ haben.
    Ist es nicht toll, dass sich so viele in der Gesellschaft engagieren? Homosexuelle dürfen (in Amerika) heiraten. Wir „verschwenden“ unser Geld für Menschen in Not. Und ich sehe kaum Gleichaltrige, die gegen Flüchtlinge hetzen. Ich stimme dir zu, dass ein Facebook-Post nicht viel bringt. Aber ich kenne viele, die mehr als das tun, und es nicht online verbreiten.

    Es gibt keine Generation Y, der Begriff wurde erfunden von denen, die so verzweifelt versuchen, eine riesige Gruppe von Menschen zu verstehen, die zufällig in der selben Zeit geboren worden sind. Man kann uns nicht definieren, charakterisieren und dann in einen Topf werfen. Ich sehe die Entwicklungen als positiv an, jede Generation bringt diese Gesellschaft irgendwie voran.

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    • Ich gebe dir natürlich Recht, dass die Generation keine homogene ist. Deshalb aber relativiere ich schon im Titel und beziehe mich auf Punkte, die mir bei einigen negativ auffallen. Das heißt, sie existieren. Ich habe mir diese Dinge also nicht ausgedacht, bin uni-bedingt quasi mittendrin. Auch ich zähle mich nicht zu dieser Kategorie unserer Generation. Aber es gibt eben diesen medialen Stempel und der kommt nicht von ungefähr.

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  4. Guter Beitrag und ich sehe schon die Differenzierung. Wer sich nicht angesprochen fühlt, braucht sich auch keinen Kopf machen. Finde, dass das gut gelöst ist, Absicht oder nicht, hehe.

    Die angesprochene Selbstreflektion ist es meiner Meinung nach.
    Bei vielen oder sogar bei den meisten (nichtsdestotrotz natürlich deswegen noch lange nicht bei allen!) aus der angesprochenen Generation „Y“ scheint ja noch nicht mal die Vokabel angekommen zu sein…
    …gleichzeitig ist aber sicher der Aspekt von joannarax nie zu vergessen, auch wir haben in den Augen unserer Eltern total krankes Zeug abgezogen. Unseren Eltern ging es genauso…deren auch.

    Der Unterschied ist, dass mir scheint, dass nun wirklich wichtige Werte verloren zu gehen scheinen. Zumindest bei sehr vielen, und nicht nur jungen, Leuten. Mangel an Respekt zum Beispiel, alles ist erlaubt, blabla. Respekt vor der Umwelt ganz allgemein und dann auch vor sich selbst sollte nicht verloren gehen, tut er aber längst.

    Schöne Grüße,
    sv3NZØN

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