Ja ja, diese Studenten

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Ein Sonntag im Juli, ca. 11 Uhr:

Ich bin gerade eben aufgestanden. Seit gestern Mittag habe ich einen feinen Migräneschub, der nun langsam abklingt. Das rede ich mir zumindest ein. Ob das der Wahrheit entspricht, kann nur eine unabhängige Instanz feststellen, denn jedes mal, wenn ich mich vornüberbeuge, scheint sich in meiner linken Gehirnhälfte eine dicke Blutblase zu sammeln, die sich ihren Weg durch meinen Schädel bahnt. Diese Wahrnehmung schiebe ich auf das klischeehafte Männergehabe, überempfindlich zu sein. Zwiebelt trotzdem ganz ordentlich.

Warum habe ich überhaupt Migräne? Es wäre ein wenig zu viel gewagt, hier eine eindeutige Antwort auf eine Frage zu liefern, die nicht einmal Mediziner haben beantworten können. Fakt ist allerdings, dass die vergangenen Wochen und Monate ein wenig stressig waren. Nun ist Stress per se nichts Negatives, was oft unterschlagen wird. Immerhin versetzt er uns in entsprechenden Situationen einen erfrischenden Adrenalinkick und das angreifende Raubtier sieht nur noch eine Staubwolke und herumwirbelndes Laub umherfliegen. Oder der angreifende Türsteher….oder Fahrkartenkontrolleur. Die Qualität von Stress lässt sich nunmal schwer messen, aber irgendwie scheint ein Übermaß davon keine schöne Sache zu sein.

Unter Müttern hat sich die frohe Kunde verbreitet, dass mit der Geburt ein Prozess einsetzt, der die Mutter den Geburtsschmerz vergessen lässt. Das ist eine tolle Sache der Evolution. Nicht auszumalen, wenn Mütter ihren Töchtern den wertvollen Hinweis auf den Lebensweg geben würden, bloß niemals Kinder zu bekommen, weil es scheiße wehtut. Und dann stinken diese Biester auch noch dermaßen. Und gerade wenn sie beginnen auf eigenen Füßen zu stehen und nicht mehr so sehr stinken, fangen sie an, fettige Haare zu bekommen und stinken erneut. Das legt sich erst nach rund 18 Jahren. Also besser bleiben lassen. Aber nein, durch die Verdrängung der Erinnerung an den Schmerz pflanzen sich Menschen nach wie vor lustig fort. Gut gemacht, Evolution.

Ähnlich verhält es sich bei der Empfehlung, ein Studium an einer Uni beginnen.

„Ja, geh auf jeden Fall auf die Uni. Das war meine beste Zeit im Leben damals.“

Am Arsch! Nicht falsch verstehen. Der Anteil an körperlicher Arbeit ist gering und darüber hinaus bin ich der – offensichtlich heutzutage nicht mehr allzu weit verbreiteten – Ansicht, dass das Erreichen des höchsten Bildungsgrades in Deutschland auch mit einem adäquaten Maß an Engagement verbunden sein muss. Dass nebenbei auch ein wenig Geld verdient werden muss, scheinen allerdings einige schon wieder vergessen zu haben. Die Tatsache, dass es darüber hinaus eben nicht so ist, dass man sich als Student in Untätigkeit übt und bis in die Puppen schläft, ist ebenfalls kein weit verbreitetes Wissen.

Und dort liegt die Quelle für einen Stress, den man selbst nicht beeinflussen kann. Logisch, für jemanden, der morgens um 8 Uhr bereits auf der Arbeit ist, mutet es traumhaft an, wenn ich um 8 Uhr erst aufstehe und zuhause bleiben kann. Dass ich von zuhause aus an Seminar- und Hausarbeiten meißeln kann, ist ebenfalls nicht allzu schlecht. Dass im Falle einer Hausarbeit die aktive Bearbeitungszeit am Tag nicht um 16 Uhr endet, sondern mitunter bis 2 Uhr nachts andauert (man hört ja nicht auf, wenn es gerade gut läuft), ist hingegen weniger angenehm. Selbst wenn ich um 16 Uhr Bücher und Laptop beiseite stellen würde, dreht sich im Kopf doch nur alles um den Unistoff. Nicht, weil das mein (wohlbemerkt unbezahlter) Job ist, sondern weil ich 20130925_124327diesen Krempel innerhalb von drei Monaten verstehen muss, um eines Tages in einem Job zu arbeiten, der mit meinem Studium ungefähr gar nichts gemein hat (abgesehen von der Sprache).

Der Grad an Frustration ist also hoch, wenn die Klischees des Studententums auf mich übertragen werden. Ich zähle mich nicht dazu. Für mich ist das Studium eine Zeit voller Entbehrungen und ich fiebere seit drei Jahren seinem Ende entgegen. Das stößt bei einigen auf Unverständnis. Warum? Weil man ja froh sein könne, dass man noch nicht arbeiten muss, dass man auch während der Woche mal frei habe. Das ist eine unglaublich zynische Aussage, ohne dass ich jemandem da Absicht unterstellen würde. Denn das Studium beschränkt sich nunmal nicht nur auf die Zeit, in der man Arbeiten anfertigt und diese bis zur Abgabe in jedem Moment unter der Schädelkalotte trägt. Die Miete, die Versicherungen, die Einkäufe und alles, was Geld kostet, muss bezahlt werden. Damit befindet man sich in der Endphase von Prüfungsvorbereitungen bzw. Hausarbeitsanfertigungen schon in einer Zwickmühle: ich lege mir grundsätzlich keine Termine zum Arbeiten in die Woche vor einer Abgabe. Nun ist es nicht so, dass man pausenlos in der heißen Phase einer Prüfung steckt. Allerdings zieht das Argument mit freien Tagen innerhalb der Woche nicht, weil ich sowohl Samstag als auch Sonntag sowie auch während der Woche und an Feiertagen arbeiten gehe. Nicht jeden Tag, nicht acht Stunden pro Tag. Schön unregelmäßig, kein geregelter Wochenablauf. Für 450 Euro im Monat. Das wird auch gern vergessen. Wenig arbeiten zu müssen, heißt auch, wenig Geld zu verdienen. Da tröstet der Satz

„Komm‘ erstmal ans Arbeiten. Dann erinnerst du dich gern zurück an die Unizeit.“

wenig.

Ich nehme Widrigkeiten gerne in Kauf, wenn ich weiß, wofür ich diese in Kauf nehme. Das Masterstudium war meine Entscheidung und sie wird richtig gewesen sein, wenn ich Ende des Jahres den hochtheoretischen Schinken fertiggebastelt habe. Der letzte wirklich kompromisslose Urlaub ist dann sieben Jahre her. Zwischenzeitlich waren meine Freundin und ich immer mal wieder kurz weg, aber das ging nur mit Unterstützung und/oder Begleitung der Familie. Das ist nichts Schlimmes, aber relativiert ein wenig das Bild des vermeintlich mit Leichtigfüßigkeit versehenen Studenten.

Das wirklich Schlimme ist, dass ich an dieser Situation nichts ändern kann. Ich kann nicht einfach anfangen, Vollzeit zu arbeiten, weil ich mein Studium abschließen möchte. Ich kann nicht einfach bei meinem Nebenjob – der im übrigen eine Herzensangelegenheit geworden ist – mehr arbeiten. Denn dem 450-Euro-Job sind per Gesetz und Namen Grenzen gesetzt. 20151009_135235Und so lösen Sprüche à la „faule Studenten“ und „fangt erstmal an zu arbeiten“ bei mir ein Gefühl von widerfahrener Ungerechtigkeit und Hilflosigkeit aus. Solche Sprüche sind sehr wahrscheinlich gar nicht böse gemeint, aber wirken auf jemanden, dem seine aktuelle Situation ganz und gar nicht gefällt und der das seit Jahren schon äußert, wenig erheiternd.

Das kann ich bei Menschen, die selbst oder vielleicht gerade nicht in dieser Situation gewesen sind, nicht verstehen. Wohl dem, der neben seinem Studium locker ein paar Wochen verreisen konnte und nicht dafür sorgen musste, dass das in diesen Wochen nicht verdiente Geld wieder reinkommt. Das ist beneidenswert, aber in meinem Fall realitätsfern, weil Semesterferien bei mir nie Ferien waren und ich kein Geld für Urlaube zurücklegen konnte.

Wenn ich mich in einem ewigen Zerren von Arbeit, Uni, Freizeit und Alltag befinde, ist es vielleicht verständlich, dass der Kopf irgendwann mal die Reißleine zieht und zumacht. Aus diesem Grund sehne ich mich nach der Zeit im Fulltimejob, wenn das Leben planbarer geworden sein wird und unter Bekannten, Verwandten und Freunden nicht mehr zwischen Studenten und Ex-Studenten unterschieden wird. Eine Grenze, die in der Form nicht existieren dürfte, wenn sich jeder ehemalige Student wieder auch auf die negativen Aspekte eines Studiums besinnen oder die gängigen Klischees nicht für bare Münze nehmen würde.

Ich bin kein Mathematiker, aber ich habe da eine komplexe Gleichung erstellt:

Entspannung (Universität + Vor-/Nachbereitung + Hausarbeiten x Literaturrecherche + Schreibarbeit mündliche Masterprüfung) arbeiten gehen am Wochenende (krankes Tier x Tierarztkosten) (Hausrat aus Keller : Wohnung) monatelanger Stress durch nicht behobenen Wasserschaden im Keller* Katze brüllt neuerdings gegen halb fünf morgens nach Fressen
=
Hirn aktiviert Stressprogramm

Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, schrieb mir am Tag zuvor eine SMS, um sich bei mir zu bedanken, dass ich mit überhöhter Geschwindigkeit in einer Baustelle geblitzt wurde. Der Rechnung fehlt also noch der Posten „Ärgern über die eigene Blödheit“ und „Knöllchen“.

Das Leben als Student macht also wenig Spaß. Vielleicht hatte ich ja deswegen Migräne.

(* Am 1. September war einjähriges Jubiläum und der Keller ist noch immer nicht nutzbar. Ebenso wie die Teile der Wohnung, die mit den traurigen Überresten eines ehemals gut gefüllten Kellers belegt sind.)

3 Kommentare

  1. So sieht es im Übrigen aus, wenn man das “Glück“ hat, mehr als 450 Euronen verdienen zu “dürfen“/“müssen“:
    Kommentar der Arbeitskollegen: “Boah, du hast ja soooo viel frei! Student müsste man sein!“
    Ja, genau. Das ist der Grund, warum ich eine 50%-Stelle habe. Ich STUDIERE.
    Kommentar der Kommilitonen:
    “Boah, du arbeitest nachts! Voll gut! Da wirst du ja fürs Schlafen bezahlt!“
    Ja, genau. Ich arbeite nachts. Im Krankenhaus. Hier wird ALLES, wirklich ALLES nachts getan, aber nicht geschlafen. Zwischen “Omma-aus-Zimmer-4-muss-aufs-Klo“ und “dementen-Oppa-aus-Zimmer-5-aus-Ommas-Bett-in-Zimmer-4-angeln“ bleiben mir gerade tatsächlich 10 Minuten Zeit, um diesen Text zu schreiben, bevor ich die kommenden Tage (und Nächte) wieder als Zombie herumlaufe, damit ich mit meinem sauer verdienten Geld mein ach-so-tolles Studentenleben in vollen Zügen genießen kann und am Montagmorgen begrüßt werde mit dem Satz:
    “Boah, du siehst irgendwie müde aus? Warst du auch das ganze Wochenende feiern?“

    Das musste auch mal raus.

    Achso, Stichwort Urlaub. Ja, den gibts auch. Urlaubstage werden natürlich dafür verplant, um auch WIRKLICH kompromisslos frei zu bekommen, wenn eine von 5732 Klausuren, sinnige Blockseminare oder sonstige Abgabetermine anstehen.
    “Findungsphase“ in Australien, Auslandssemester, freiwilliges Praktikum? Ich lach mich kaputt.

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  2. Deine Formel zur Berechnung finde ich genial. Genau so sieht es im Moment auch bei mir aus. Jeder sieht einen einigermaßen „lockeren“ Stundenplan, aber niemand die Arbeit dahinter. Im Moment führe ich eine 60h-Woche OHNE Nebenjob. Ansonsten würden Haustier und ebenfalls vorhandene chronische Migräne wohl vollkommen am Rad drehen.

    Mein Mitgefühl ist bei dir. (Und jetzt zurück zum Rechnungswesen)

    Liebe Grüße,

    Emma

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