Vergangenheitsbewältigung – Tiefenentspanntes WG-Leben

171308_10150089959790770_4483433_o

Während ich mit müdem Auge – es sind sogar zwei – diese Zeilen untereinander schichte und in Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit schwelge, fällt mir auf, dass ich mich mit diesem Beitrag langsam der 100 nähere. Zwar ist es, sofern man minimalistische Beiträge mitzählt, bereits der hundert-irgendwas-te seiner Art, aber meine Zählung beinhaltet nur die Artikel, die einen gewissen Umfang haben und von mir geschrieben wurden. Bliebe noch die Frage zu klären, was genau „seiner Art“ bedeutet. Bislang habe ich mich noch nicht dazu durchringen können, diesem Blog eine tiefere Bedeutung zuzuschreiben, geschweige denn ein bestimmtes Thema. Ich überlege, den Untertitel von „…was ich mal kurz sagen wollte:“ in „Alltag und sonstige Nichtigkeiten unterhaltsam und gelegentlich auch mal ernst kommentiert“ umzuändern, was aber zu lang ist und ziemlich lahm klingt. Ich lass ihn vielleicht erstmal so und muss feststellen, dass ich noch nie den Namen dieses Blogs in epischer Breite erläutert habe. Schande über mich! Wird nachgeholt. Gleich morgen oder irgendwann. Vielleicht nie.

Nur um den Überblick zu behalten:

  • Blognamen erklären
  • Untertitel ändern
  • Masterarbeit schreiben
  • vorher Thema finden
  • auch für die Masterarbeit
  • Liste machen, um den Überblick zu behalten

Aber eigentlich schwelge ich ja in Erinnerungen, weshalb die Abarbeitung der Liste noch warten muss.

Bevor ich mit der Frau, die in unserer Wohnung lebt, zusammengezogen bin, gab es uns schon unabhängig voneinander. Da war sie aber noch die Frau, die in einer anderen Wohnung als ich lebte. Und ich war ein Typ, der einen Junggesellenhaushalt führte. Nicht allein. Da war noch einer. Ein WG-Leben kann mitunter ganz lustig sein. Das fällt einem meist erst dann auf, wenn es schon längst vorbei ist. Vor allem fallen einem dann Anekdoten ein, die in dem Moment, als sie stattfanden, nicht ansatzweise witzig waren, es in der Erinnerung aber sind. Dazu später mehr.

Als wir unsere untapezierte Wohnung in der vierten Etage eines Wohnhauses in Düsseldorf Derendorf bezogen, waren wir fasziniert von unseren Vormietern, die wohl wenig von Tapeten hielten und deshalb einfach über den Putz gestrichen hatten. Es war kein schöner Putz und es waren nicht mal im Entferntesten Farben, in denen man sich wohlfühlen konnte. Mein Zimmer war hellblau verunstaltet, wenn man von den zartgelb gestrichenen Wänden links und rechts vom Fenster absieht. Es war hässlich. Wir haben wenig fachgerecht tapeziert und bei der Gelegenheit die Vorzüge hochpreisiger Tapeten kennengelernt, in deren Genuss wir nicht kamen, weil wir den billigsten Schrott besorgten. Immerhin hatten wir keinen apricotfarbenen Flur mehr. Am nächsten Morgen haben wir nochmal tapeziert, indem wir die labberigen Papierbahnen mit Unmengen von Kleister an die Wände zwangen. Bei der Gelegenheit lernte ich, dass Wandfarbe der deutlich bessere Tapetenkleister ist. Das Problem: Man bräuchte schon fürs Tapezieren Unmengen an Farbe, die teurer ist als Kleister.

Beim Auszug durften wir die mühsam angebrachten Tapeten übrigens wieder entfernen, weil unsere Vermieterin der Ansicht war, dass es vorher ohne Tapeten doch deutlich erträglicher aussah. Wir weigerten uns zunächst, aber als sie damit drohte, uns die Entfernung der Papierlappen in Rechnung zu stellen, haben wir den ursprünglichen Zustand der Wohnung wiederhergestellt. Das war an den Stellen, die ich beim Einzug heimlich doch mit Wandfarbe bearbeitet hatte, etwas aufwändiger. Seitdem bekomme ich Schmerzen im Handgelenk, wenn ich eine Sprühflasche häufiger als dreimal bedienen muss. Denn das musste ich beim Auszug sehr, sehr oft machen, um gewisse Stellen aufzuweichen. Der Körper merkt sich sowas.

Bis zu unserem Auszug haben sich aus irgendeinem Grund mehrere Baustellenlampen in der Wohnung gesammelt. Ein möglicher Grund könnte sein, dass wir den Weg von der Altstadt nach Hause oftmals zu Fuß zurücklegten. Unter Umständen lagen auf diesem Heimweg einige Baustellen, denen nun vielleicht einige Lampen fehlten. Als ich eines Morgens aufwachte und neben der Badezimmertür ein Baustellenschild lehnte, verhärtete sich der Verdacht.

Die Altstadt ist heute nicht mehr empfehlenswert. Die Bolker Straße war schon damals nur mit Qualen zu ertragen, weil ich auf hochgeklappte Polohemdkragen von Teenagern, die mit Papis Kreditkarte dick Party machen, allergisch reagiere. Da stehen sie alle fein aufgereiht vor ihrem Lieblingsladen, auf dessen Einlass sie sooo sehr hoffen, um sich unten dann mit Woddi-O oder anderem Scheiß die Birne zuzuschweißen. Trinkt gefälligst Bier oder Wein, ihr Oberstyler!
Die Ratinger Straße, die gewissermaßen die Parallelstraße zur Bolker darstellt, war damals noch akzeptabel. Heute ist das Volk dort ebenfalls nicht mehr meine Kragenweite, weshalb ich mit dem Gedanken spiele, mir eine zünftige Countrybar zu suchen, um mein Feierabendbier zu genießen und dort mit Artgenossen auf die Beschissenheit der aktuellen Jugend zu schimpfen. Als erstes müsste ich mir allerdings angewöhnen, Feierabendbiere zu trinken und Country zu hören.

Andererseits war es nicht nur das jugendliche Partyvolk, das einem den Altstadtbesuch vergällte. Ich bin mir nicht mehr sicher, wie es überhaupt zu dem Szenario kommen konnte, aber es fand statt, als wir zwecks Geldgewinnung einen Geldautomaten aufsuchten. Dort lungerten etwas heruntergekommene Männer mittleren Alters herum. Um es kurz zu machen: Glatzköpfige, betrunkene ü40-Jährige reagieren auf den Kommentar eines 23-Jährigen „Lass dir erstmal Haare wachsen, bevor du mit mir diskutierst!“  wenig amüsiert. Diese Lehre habe ich meinem Mitbewohner in den Monaten danach auch regelmäßig versucht zu vermitteln. Ich wusste nicht, worum es eigentlich ging, weil ich kurz zuvor bei meiner Bank am Geldautomaten war. Auf jeden Fall aber ließ sich mein Mitbewohner aufgrund von Provokationen zu diesem Spruch hinreißen, weshalb sich der Angesprochene zu einem lehrbuchmäßigen rechten Schwinger hinreißen ließ, der meinen Mitbewohner veranlasste, blutend zu Boden zu gehen. Im Krankenhaus wurde er dann darüber aufgeklärt, dass sich Fäuste und Nasenbeine schlecht verstehen, weshalb eines von beiden beim Zusammentreffen in der Regel zu Bruch geht.
Mit zwei Tampons in der Nase und der Erkenntnis, dass die Altstadt nicht mehr das ist, was sie mal war, besorgten wir uns eine weitere Baustellenlampe und gingen – über seine zerstörte Nase witzelnd – nach Hause.

Ansonsten waren es ruhige Zeiten in der WG, weil wir beide prinzipiell tiefenentspannt waren. Das äußerte sich beispielsweise in Reinigungssituationen. Billige Klobürsten sind nicht nur billig sondern auch recht schnell zu zerstören. Das ist bei sogenannten Tiefspülern eine kniffelige Angelegenheit, weil man doch recht weit in die Tiefen des Abflussrohres eindringen kann, um dort säubernd zu wirken. Die Klobürste wirkte zunächst sehr elastisch, um anschließend sämtliche Weichmacher auszudünsten, was die Bürste brechen ließ. In zwei Teile. Das geschah innerhalb von Sekunden. Alles kein Problem. Man ist ja tiefenentspannt.

Mein Mitbewohner kam irgendwann ins Wohnzimmer geschlurft und klärte mich auf.

„Ähm…hallo. Wir brauchen eine neue Klobürste.“

„Joa, war ja billig.“

„Kennst du jemanden, der sich mit Sanitäranlagen auskennt?“

Meinem Mitbewohner war nach mehrmaligem Abziehen klargeworden, dass der abgebrochene Bürstenkopf weder seinen Weg durch das abknickende Abflussrohr finden noch wieder an die Wasseroberfläche zurückkehren würde. Er war irgendwo in der Wand und blockierte dort den Abfluss. Tiefenentspannt riefen wir den Notdienst, denn es war Sonntag. Bei solchen Dingen ist übrigens immer Sonntag. Kranke Haustiere: Sonntag, Telefonleitungen tot: Sonntag, Klobürste heruntergespült: Sonntag. Der Sanitärnotdienst schraubte die Toilette von der Wand ab und flutete somit unser Bad mit dem, was sich noch im Rohr befand. Unter anderem der Bürstenkopf. Um unseren Flur zu schützen, haben wir mit Handtüchern einen Damm errichtet, der das Brackwasser davon abhalten sollte, das Bad zu verlassen. Anschließend haben wir uns dazu entschlossen, neue Handtücher zu kaufen; als das Geld dafür wieder da war. Wie gesagt: Sonntag, Notdienst. Eine Freundin hat uns später gefragt, wie mein Mitbewohner denn auf die hirnrissige Idee kommen konnte, dass die Bürste einfach runtergespült werden könnte. Explizit mich fragte sie, warum ich denn nichts gemacht habe. Allerdings hielt ich die Lösung mit dem Runterspülen für durchaus erfolgsversprechend und hätte ähnlich gehandelt.

Das Schicksal hielt es für witzig, mir eine lebenslange Verbindung zum Element Wasser zu schmieden. Zunächst einmal bestehe ich zu 75% aus Wasser, was mich im Grunde zu einem Tintenfisch macht. Oder zu einer sehr trockenen Qualle. Weil ich dieses Los mit vielen Menschen teilen dürfte, muss es noch andere Gründe für die Annahme geben, dass mein Leben vom Wasser begleitet wird. Eines Morgens standen wir tiefenentspannt in der Küche und bemerkten voller Belustigung, dass aus den Laminatfugen an den Stellen ein wenig Wasser quoll, wo man auftrat. Weniger tiefenentspannt öffneten wir die Tür, als es klingelte, ein Handwerker eintrat, unsere schöne Küche von der Wand abrückte, um an der Wand einen großen Wasserfleck freizulegen. Der Handwerker war von den Nachbarn unter uns gerufen worden, weil durch deren Küchendecke Wasser tropfte. Die konnten uns eh nicht leiden, seit wir gelegentlich auch nachts unsere Waschmaschine anwarfen.
Das Ergebnis einer Fehlersuche, die bedeutete, dass wir nun ein riesiges Loch in der Küchenwand besaßen und unsere Küche im Wohnzimmer stand, waren zwei laienhaft zusammengeschusterte Wasserleitungen, die an ihrer Verbindung undicht waren. Das Wasser musste seit Wochen erst in der Wand in die unteren Etagen und irgendwann auch aus der Wand unters Laminat geflossen sein. Es folgten Wochen der Trocknung, weil das Wasser bereits in den Betonboden von Küche und Flur gesickert war.

Die Art und Weise, wie die Wohngemeinschaft dann letztlich auseinander ging, um eigene Wohnungen zu bewässern, war von meiner Seite aus nicht ganz einwandfrei. Das ist mir noch heute extrem unangenehm und so richtigen Kontakt gab es seitdem nicht mehr. Das bedauere ich.

Denn wir waren schon zwei lustige Kerlchen. Er, der Sportfotograf mit der angenehmen Eigenschaft, in vielen Belangen die Schweiz („Ich halt mich raus. Ich bin die Schweiz.“) zu sein, und ich, die sehr trockene Qualle.

3 Kommentare

  1. Da denke ich gleich an meine WG-Zeiten zurück. In einer konnte ich mal nicht ins Bette, weil Bauschutt darauf lag. Meine Mitbewohner hatten beschlossen, die Wand zwischen Küche und meinem Zimmer sei da völlig fehl am Platz. Da ich nicht da war, konnten sie mich nicht fragen, was ich davon hielte. Leider hat sie auch der Elan verlassen, als die Wand halb raus war. Also raus aus ihrer ursprünglichen Form. Denn raus aus der Wohnung war sie noch nicht. Sie lag auf meinem Bett.Hm, ich sollte mir das wirklich noch mal überlegen. Aktuell. Denn ich denke gerade wieder über eine WG nach. Ach Herrje

    Gefällt 2 Personen

Hinterlasse einen Kommentar