Gestatten, dass ich mich darstelle?

Maenneken

Hier sitzen welche, die im Display ihres Smartphones das eigene Spiegelbild begutachten, dort ganz andere, die offensichtlich ein Selfie von sich machen. Um das Ganze richtig verorten zu können: Ich sitze in einer relativ gut gefüllten Straßenbahn in Düsseldorf und betrachte meine Mitmenschen, die teilweise stehend ihrem Feierabend entgegenrumpeln. Das mache ich gelegentlich ganz gern, zumal man dabei häufiger in den Genuss feinster Dialoge kommt. Um Dialoge soll es hier nun nicht gehen. Ganz im Gegenteil.

Vor mir sitzt eine junge Frau, die möglicherweise von der Uni nach Hause fährt; zumindest deutet ihre Tasche der HHU Düsseldorf darauf hin. Übrigens sind diese Taschen quasi die Brandmarkung eines jeden Erstsemesters. Jedes Jahr im Wintersemester sieht die Tasche ein wenig anders aus, weshalb die Silberrücken in den höheren Semestern sehr genau erkennen können, wer Frischling ist. Ein alljährlicher Spießrutenlauf. Mussten wir alle durch; zumindest in Düsseldorf. Bevor diese junge Frau mit der Tasche nun aussteigt, scheint es von immenser Wichtigkeit zu sein, die Haare zu richten und den Lipgloss nachzuziehen. Sagt man das so? Lipgloss nachziehen? Ich weiß sowas nicht. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich mein Smartphone nie als Spiegel missbraucht habe, was bei einer matten Schutzfolie wohl auch eher zu der Erkenntnis geführt hätte, dass ich heute aber mal wieder besonders wenig konturiert durch die Welt latsche. Ich traue mich auch gar nicht, in einer voller Bahn mein Handy etwa zehn Zentimeter vor die eigene Rübe zu halten und so zu schauen, als hätte ich meinen Hausschlüssel im Bildschirm verloren. Vielleicht ist das aber auch mittlerweile schon normal. Nicht, dass man den Hausschlüssel im Handy verliert. Das andere.

Auf jeden Fall schaue ich mir dieses Ereignis an und frage mich, ob manche Menschen einfach nicht merken, dass die eine oder andere Körperhaltung in der Öffentlichkeit befremdlich wirkt. Bei mir erzeugt derartiges Verhalten allerdings das eigenartige Gefühl, dass ich irgendwie nicht so recht in diese Welt passe. Verstärkt wird dieses Gefühl durch meine unzeitgemäße Angewohnheit, alle Mobilfunkgeräte – sogar die mit dem Apfel – als Handys zu bezeichnen. Und das, obwohl doch jeder weiß, dass es Handys, Smartphones und iPhones gibt. Wobei erstere wahrscheinlich schon längst ausgestorben sind. Ich weiß, ich weiß. Ich bin sehr eigen.

Während ich also die junge Dame betrachte und meiner Gedankengänge gehe, fallen mir weitere Menschen auf. Einige Meter entfernt sitzt ein Pärchen, das sich pausenlos in Pose wirft, um ein schönes Erinnerungsfoto zu schießen. Dafür waren Fotos mit Sicherheit mal gedacht: Man wollte schöne, erinnerungswürdige Momente einfangen und später abrufen können. Ich wage mal die tollkühne These, dass ein großer Teil der heute verbrochenen Fotos im Nirwana von SD-Karten verschwindet und nie mehr wieder ernsthaft betrachtet wird. Über die Gründe kann man nur mutmaßen. Ich habe in meiner Wohnung eine Umfrage gestartet, die ein eindeutiges Ergebnis zutage gefördert hat:

Vor einigen Wochen habe ich mich des Nachts zusammen mit der Frau, die in meiner Wohnung lebt, aus dem Haus geschlichen, um in Joggingbuxe und Kapuzenpulli den sternenklaren Nachthimmel zu fotografieren. Da stehen also eine Mitt- und ein Endzwangziger zusammen mit einer Spiegelreflexkamera auf Stativ um 2 Uhr nachts auf einer dunklen Wiese und basteln geduldig an einem gelungenen Bild des Sternenhimmels. Wir haben kein Selfie von uns gemacht. Der Witz an der Sache – und das mag bei vielen unserer Generation auf Unverständnis stoßen – ist nämlich folgender: Wir wissen, ohne dass wir auf den Fotos zu sehen sind, dass wir dort gewesen sind. Wir wissen außerdem auch, in welcher Stimmung wir waren. Was sind wir doch verrückte Teufelskerle?!

Vielleicht ist es auch einfach vielen mittlerweile egal, wo sie sich befinden. Bekommt ja eh keiner mehr mit. Ist ja immer das Handy im Weg, das die Sicht versperrt. Die Hauptsache scheint zu sein, dass die angeordneten Pixel die eigene Visage abbilden. Und so sitzt da dieses Pärchen in der Bahn und fotografiert sich selbst vor einer Fensterscheibe, die von außen mit Werbung beklebt ist. Mögliche Hashtags: #instatram #rheinbahn707 #yolo #düsseldorflifestyle. Was die Welt nachher zu sehen bekommt, sind Terrabyte an Bildern, die alle das selbe Motiv haben: Bis zur Perfektion verzerrte Fratzen vor austauschbarem Hintergrund. Es spielt keine Rolle, ob die Aufnahmen in New York oder Bottrop gemacht wurden. Denn man sieht ohnehin kaum etwas vom Hintergrund. Solange das eigene Schönheitsideal erfüllt wird, ist alles andere Nebensache. Was diesem Anspruch nicht entspricht, wird mit den Worten OMG! Mach das weeeg! Ehrlisch!“ sofort gelöscht. Wenn ein Foto gelingt, wird es niemand erfahren. Denn Rummosern ist ein probates Mittel, um von aller Welt gesagt zu bekommen „Neeeeeein! Du siehst da VOLL gut drauf aus! Du bist voll hübsch!“.

Das Ergebnis der freiwilligen Selbstkontrolle ist, dass echte Schnappschüsse zur traurigen Randerscheinung einer auf Eitelkeit beruhenden Jugendströmung geworden sind. Vielleicht bin ich ja auch etwas zu gleichgültig, was eigene Fotos angeht, weil ich beispielsweise auch in Jogginghose zum Briefkasten und in die Bibliothek der Uni latsche. Zu manchen Uhrzeiten ist man dort unter Gleichgesinnten: alle hässlich gekleidet. Vielleicht bin ich auch schon zu alt und verstehe die Selbstverständlichkeit einfach nicht, mit der sich einige in der Öffentlichkeit zum Studienobjekt machen. Ich weiß es nicht. Grundsätzlich ist mir wenig peinlich. Aber in einer vollen Bahn mit ausgestrecktem körpereigenen Selfiestick – gemeint ist der eigene Arm – mein Handy/Smartphone/iPhone/Dosentelefon zwischen die stehenden Fahrgäste zu halten…ich weiß ja nicht.

Die Welt ist wohl zum Selbstdarsteller geworden. Vielleicht ist das ein Grundzug der vielzitierten „Generation Y“. Nichts scheint ihr unangemessen zu sein. Alles ist erlaubt. Aber warum ist sie dann auf der anderen Seite in mancher Hinsicht so extrem unflexibel? Das ist ein anderes Thema.

8 Kommentare

  1. Ach Generation Y mag das Stichwort sein oder auch nicht. Als generationsferner, der selbst seine eigene Generation in der Jugend schon aus skeptischer Distanz in einer Mischung aus kaum begründbarer Überheblichkeit und diffundierendem Unbehagen mit einer Prise Neid vielleicht, betrachtet hat, war mir der Begriff bis kürzlich völlig unbekannt, ungeachtet ich dergleichen einst mal kurz studierte. So fremd einem die eigene Generation auch sein mag, so wird einem ihre Nähe und paradoxe Vertrautheit erst befremdlich bewusst, wenn einem unversehens eine entfernte Generation vor den Geist geführt, nicht vor Augen, denn die Übergänge der äußeren Moden sind fließend zirkulierend, sich zunehmend wiederholend und kommen mir drum ewig bekannt vor, nicht so die Geisteshaltung. Da scheint sich Altbekanntes mit Uraltem und ganz Neuem zu verbinden. Der eine Teil dieser Generation wurde vor 3,4 Jahren in einer fotzigen Feuilleton-Kampagne als „Schmerzensmänner“ verhöhnt (von den selben gleichgesichtigen Girlies, die ein Jahr später in den selben Feuilletons den „Sexismus-Aufschrei“ hysterisch inszenieren durften) – oje, ich digressiere und dies auf dem Blog eines anderen. Er mag es mir nachsehen oder nicht, eine valide Info will ich Dir gratis doch geben: Es gibt noch Handys oder zumindest ein Handy, mein treuer, robuster, baggy-uhrentaschen einsteckbarer Begleiter seit mehr denn sieben Jahren, manchen Sturz überstanden und ich es ihm gleichermaßen vergolten auch bei steigendem Kontostand nie auch nur geliebäugelt mit vage verwandten Wahlgeräten – und, an sich überflüssig zu erwähnen bei einem Telefon: Fotos machen kann es nicht, dann wäre es doch ein Fotoapparat, wie dumm die jungen Leut` heutzutage doch sind! Da fühlt man sich doch gleich schon viel klüger.

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    • Abdriften ist per se nichts Schlechtes. Was die Nähe zur eigenen Generation angeht, so gehöre ich altersbedingt so gerade eben noch dazu, aber kann mit der Mentalität wenig anfangen. Das betrifft natürlich nicht alle Vertreter dieser Generation. Einiges ist dennoch befremdlich.

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  2. Hej, schliesse mich gern meinen Vorschreibern an. Mag den Beitrag. Spricht mir aus der Seele, auch wenn’s jetzt nix Brandneues ist, speziell das mit dem ständigen Smartphone-Geglotze und Selfie-Rotz. Das nervt ja nun schon seit zig Jahren.

    Wie auch immer, zum Schmunzeln und bejaenden Kopfnicken beim Lesen hat’s mehr als animiert. Gut!
    Und schlabbrige Jogginghosen sind sowieso genial. Nebenbei.

    Schöne Grüße, „als weidäh“, wie der Hesse sagen würde,
    sv3NZØn

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